Im Fokus der Jury des
Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares
März 2024
Jedes Jahr im Herbst wird der Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares für herausragende Leistungen in der vergangenen Spielzeit in unterschiedlichen Kategorien verliehen. Die Theaterpreis-Jury, bestehend aus Dr. Inge Volk, Jan Peter Gehrckens, Patrick Giese, Christian Hanke, Gunter Mieruch, Maike Schäfer und Elke Westphal, ist deshalb in der laufenden Spielzeit fleißig in den Häusern der Stadt unterwegs, um die nächsten Preisträger*innen zu finden. Ab und an lassen sie sich über die Schulter blicken und verraten, welche Stücke sie in den Fokus genommen haben.
Prima Facie in den Hamburger Kammerspielen
In dem preisgekrönten Monolog von Suzie Miller geht es um Tessa, eine junge Strafrechtsanwältin, für die die juristische Wahrheit über allem steht. „Ich habe seit Wochen keinen Fall verloren.“- Tessa ist auf ihrem Höhenflug. “Wenn die Geschichte Lücken hat, dann weise darauf hin“, Gefühle und Moral spielen im Gerichtssaal keine Rolle. Egal ob bei Drogenmissbrauch oder Sexualverbrechen, es geht um die juristische Wahrheit und die Unschuldsvermutung. Davon ist Tessa überzeugt, bis zu dem Tag, an dem sie selbst Opfer eines sexuellen Übergriffs wird. Obwohl sie die Hindernisse des Systems genau kennt, erstattet sie Anzeige. Sie wird zur Verteidigerin ihrer selbst. Der plötzliche Seitenwechsel stellt ihr Vertrauen in das Rechtssystem auf eine harte Probe.
Dienstags bei Morrie im Ernst Deutsch Theater
Mitch Albom ist ein sehr gefragter, hochbezahlter Sportreporter, der von einem Megaevent zum nächsten hetzt. Seine außergewöhnliche Begabung für das Klavierspielen, das ihm als Student alles bedeutete, hat er komplett vernachlässigt. Zufällig sieht Mitch seinen früheren Mentor Morrie Schwartz in einer Talkshow, in der dieser sehr offen und unsentimental über seine Erkrankung ALS berichtet. 16 Jahre sind seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Er beschließt, Morrie zu treffen und aus dem spontanen Besuch wird ein wöchentliches Ritual. Es entwickeln sich Gespräche und Gesprächspausen, in denen Mitch sich auch wieder ans Klavier traut. Bei jeder Begegnung entsteht etwas Unerwartetes und der Dienstag wird für beide zum Geschenk.
Der Tod und das Mädchen in das kleine hoftheater
Paulina Salas möchte ihre unbewältigte Vergangenheit gern ans Licht bringen. Vor Jahren wurde sie zerbrochen, als sie von Soldaten verschleppt, verhaftet und in der Haft gefoltert und vergewaltigt wurde. Obwohl sie ein normales bürgerliches Leben mit ihrem Ehemann Roberto führt, lässt ihr unbewältigtes Trauma ihr keine Ruhe. Der Konflikt des Stückes entbrennt, als Roberto einen Gast mit nach Hause bringt, in dem sie glaubt, den Arzt zu erkennen, der in der Haft die Folterung überwacht und sie vergewaltigt hat. Obwohl sie ihren Peiniger niemals gesehen hat, lässt seine Stimme und sein Geruch bei ihr keinen Zweifel offen. Der Wunsch nach Rache für die frühere Erniedrigung wird in ihr so stark, dass sie alle gesellschaftlichen Normen vergisst, um dem Unbekannten ein Geständnis abzutrotzen.
La traviata im Allee Theater – Hamburger Kammeroper
Giuseppe Verdis Meisterwerk fragt nach Liebe und Freiheit angesichts erdrückender Doppelmoral und der Kürze des Daseins. Der junge Alfredo Germont und Violetta Valéry, eine Edelkurtisane der Pariser High Society, richten sich verliebt ein ruhiges Leben zu zweit auf dem Lande ein. Doch Alfredos Vater zwingt Violetta, die Verbindung aufzugeben, obwohl er von ihrer unheilbaren Krankheit weiß. Er fürchtet um den Ruf seiner Familie. Nach verzweifeltem Ringen willigt Violetta ein. Als Alfredos Vater seine fatale Forderung zurückzieht, ist es zu spät: Violetta stirbt in Alfredos Armen. Eine Kurtisane als Protagonistin? Das war für das Publikum der Uraufführung im Jahre 1853 starker Tobak. Doch schon bald wurde La traviata zu einer der beliebtesten Opern überhaupt. Ein einziges Mal nur hat sich Giuseppe Verdi einem zeitgenössischen Sujet zugewandt, der „Kameliendame“ des Pariser Autors Alexandre Dumas d.J. Als Roman wie als Theaterstück hat Dumas dieses auf wahren Begebenheiten beruhende Geschehen literarisch gestaltet.
Bittersüße Zitronen im Ohnsorg-Theater
In einem alten Mietshaus wohnen sie zusammen: Die kinderlose Maurersfrau Jette John, die einer anderen das Baby abkauft und es als ihr eigenes ausgibt, ihr Ehemann, der Maurerpolier, sowie ihr zwielichtiger Bruder, ein Hausmeister und ein ehemaliger Theaterdirektor, der gern vollmundig über Kunst und das Leben philosophiert. Am liebsten tut er das mit seinem Schauspielschüler, einem ehemaligen Theologiestudenten, der in des Theaterdirektors Tochter verliebt ist. Nicht zu vergessen die Ehefrau des Theaterdirektors und dessen Geliebte. Mitten unter ihnen: Henriette Johanne Marie Müller, besser bekannt als Zitronenjette, und ihre Schwester. Sie alle sind Menschen am Rande der Gesellschaft, deren Leben auf schicksalhaft-komische Weise miteinander verbunden ist.
Die gläserne Stadt im Deutschen SchauSpielHaus
Russland 1835, in einer Stadt, in der es gut läuft: Wirtschaft und Politik sind produktiv durch Korruption miteinander verflochten, eine Hand wäscht die andere und so kommen die kommunalen Würdenträger*innen in Gogols Komödie glänzend zurecht. Doch plötzlich kündigt sich der unbestechliche staatliche Revisor zur Buchprüfung an und im Eldorado der dubiosen Übereinkünfte bricht blanke Panik aus. Als ein Unbekannter im Hotel absteigt, beginnt ein grotesker Wettbewerb in Bestechung …
Deutschland heute, in einer Stadt, in der es gut läuft: Trotz milliardenschwerer Skandale gelingt es nachhaltig, das Bild einer seriösen Verwaltung aufrechtzuerhalten, man belehrt gern andere über „Good Governance“ und lässt selbst Milliarden im Nebel verschwinden. Was wäre, wenn das Verborgene offengelegt würde?
Die Ärztin im Ernst Deutsch Theater
In der Neuschreibung Die Ärztin von Robert Icke sehr frei nach Arthur Schnitzlers Antisemitismus Drama Professor Bernhardi geht es um Gender-, Identitäts- und soziale Fragen, um medizinische Ethik und ökonomischen Druck, um Zuschreibungen und Verurteilungen. Das Stück spielt mit unserer Wahrnehmung und konfrontiert uns mit der Komplexität unseres menschlichen Handelns. Nach einem heimlichen Abtreibungsversuch wird ein 14jähriges Mädchen in eine Klinik eingeliefert. Die leitende Ärztin Ruth Wolff verweigert dem katholischen Priester den Zutritt zu der Patientin. Das Mädchen stirbt. Die rigorose Haltung der jüdischen Ärztin gegen den katholischen Priester führt zu antisemitischen Reaktionen. Zugleich fühlt sich der Priester als Schwarzer von der Ärztin diskriminiert. Der Vorfall schaukelt sich zu einem gesellschaftlichen, politischen und rassistischen Skandal hoch und löst einen Shitstorm aus, in dessen Mittelpunkt sich die Ärztin wiederfindet. Ihre moralische Befähigung als Ärztin, ihre menschliche Integrität und ihre Würde stehen zur Disposition.