Von Glückssuchenden und Racheengeln

Intendantin Karin Beier stellte das Programm des Deutschen Schauspielhauses für die Saison 2019/2020 vor – Neue Inszenierungen von Studio Braun, Castorf und Thalheimer

 

von Heinrich Oehmsen

 

Als Michel Houellebeqcs Roman „Serotonin“ vor ein paar Monaten erschienen ist, waren die Feuilletons voll von durchaus kritischen Besprechungen. Bei dem französischen Schriftsteller liegen Bewunderung und Ablehnung sehr dicht nebeneinander. Auch SchauSpielHaus-Intendantin Karin Beier ärgert sich über Houellebecq, aber sie ist gleichermaßen fasziniert von dessen radikalen Lebensbeschreibungen. Sie selbst hat am Deutschen SchauSpielHaus mit riesigem Erfolg Houellebecqs Unterwerfung als Solostück mit Edgar Selge inszeniert, Serotonin überlässt sie zu Beginn der kommenden Spielzeit Falk Richter, von dem zur Zeit noch Am Königsweg und Lazarus am Schauspielhaus laufen. Der neue Roman des Franzosen stellt einen Chauvinisten in den Mittelpunkt, der sexsüchtig ist und an Depressionen leidet. Das Serotonin bewahrt ihn vor dem endgültigen Abgleiten in eine bodenlose Depression. Die Uraufführung ist für den 6. September 2019 geplant.

Karin Beier machte bei der Spielzeitpressekonferenz, die in diesem Jahr auf der Bühne des Deutschen SchauSpielHauses stattfand, deutlich, dass Theater in der Auswahl seiner Stücke und ihrer Darstellung keinen Konsens erzielen muss und die „Diskurspolizei“ auf der Bühne nichts zu suchen habe. Gegenentwürfe zu Houellebecqs Dramatisierung seines Romans seien zum Beispiel Alice Birchs Anatomie eines Suizids, das Katie Mitchell auf die große Bühne bringen wird (Premiere: 17. Oktober) oder Café Populaire von Nora Abdel-Maksoud, das am 13. März 2020 im Malersaal Premiere feiert. Beide Autorinnen verfolgen in ihren Stücken einen feministischen Ansatz, wobei besonders Abdel-Maksoud nach allen Seiten austeilt. Als „subversive Satire vom Feinsten“, kündigt das Deutsche SchauSpielHaus das Stück der jungen Autorin an.

Karin Beier
Foto: Jörg Modrow 

In der vergangenen Saison haben Beier und ihr Team und auch Klaus Schumacher vom Jungen SchauSpielHaus offensichtlich alles richtig gemacht, denn die Auslastung des 1200-Plätze-Hauses und seiner Studiobühnen liegt bei mehr als 80 Prozent. Geschäftsführer Peter F. Raddatz zeigte sich hocherfreut über die große Publikumsresonanz und gab auch bekannt, welche Stücke in der noch laufenden Saison die Renner sind: Zur Zeit liegt König Lear mit Edgar Selge in der Titelrolle noch knapp vor Studio Brauns Der Goldene Handschuh (mit Charly Hübner in der Rolle des Fritz Honka) und Lazarus, der Adaption eines Stückes von David Bowie mit Alexander Scheer als Bowie.

Studio Braun wird seine erfolgreiche Arbeit am Deutschen SchauSpielHaus im kommenden Jahr fortsetzen. Coolhaze heißt ein Action-Thriller, in dem das Trio Strunk, Schamoni und Palminger Charles Bronsons Selbstjustizfilm Ein Mann sieht rot mit Heinrich von Kleists Rache-Epos Michael Kohlhaas miteinander verschränken wird. Musik ist wie immer bei Studio Braun wichtig, in diesem Fall wird eine Jazz-Bigband für einen Breitwand-Sound sorgen (Premiere 13. April 2020).

Mit Frank Castorf, der Joseph Conrads Der Geheimagent bearbeiten wird (Premiere 23. Mai 2020), und Michael Thalheimer werden zwei der profiliertesten deutschen Regisseure in der nächsten Saison im Haus an der Kirchenallee arbeiten. Thalheimer nimmt sich Bernard-Marie Koltès’ Quai West vor, das 1986 uraufgeführt wurde, aber immer noch eine hohe politische Relevanz besitzt. Intendantin Beier wird Anton Tschechows Iwanow inszenieren (Premiere 18. Januar 2020), Viktor Bodo Das Schloss von Franz Kafka (Premiere 22. Februar 2020) und auch die Radio-Show von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht geht weiter. Nach den großen Erfolgen von Effi Briest und Anna Karenina im Malersaal präsentiert Rock-Antenne Walhalla Das Nibelungenlied vom 28. September an auf der großen Bühne.

Zu den acht Premieren im großen Haus kommen fünf weitere Premieren im Malersaal hinzu. Spannend verspricht die Saisoneröffnung am 8. September mit Stalker zu werden. Der Stoff basiert auf einem Roman, den der russische Regisseur Andrei Tarkowski in den 70er-Jahren in ein filmisches Meisterwerk umgesetzt hat. In diesem Science-Fiction-Klassiker geht es um Glückssuchende, die vom Stalker in eine verbotene Zone geführt werden. Zum ersten Mal wird Dušan David Parízek in der Intendanz von Karin Beier am Deutschen SchauSpielHaus arbeiten. Er wird im Malersaal Eine Frau flieht vor einer Nachricht inszenieren. Die Vorlage ist ein Roman des kritischen israelischen Schriftstellers David Grossman, der von der Angst einer Mutter um ihren Sohn erzählt, der an der Grenze zum Libanon im Einsatz ist.

Fünf Neu-Inszenierungen hat auch das Junge SchauSpielHaus geplant, darunter Die Tochter des Ganovenkönigs von Ad de Bont (Premiere 31. August) und Lukas Bärfuss’ Die sexuellen Neurosen unserer Eltern (Premiere 19. Oktober). An Finn-Ole Heinrich und Dita Zipfel hat die Jugendbühne ein Stück für Kinder ab 6 Jahren in Auftrag gegeben, es trägt den Titel Masken und Capes und wird am 15. März 2020 uraufgeführt. Schumacher selbst wird Regie bei Dschabber von Marcus Yousseff führen (Premiere 11. Januar 2020). Darin geht es um eine junge schlagfertige Muslima. Auch Dschabber wird sicher als Ausgangspunkt für Diskussionen über Religion und Rollenverhalten der jungen Zuschauer*innen dienen.