Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares: Sonderpreis für das Polittbüro
Über die Arbeit von Lisa Politt & Gunter Schmidt und das Polittbüro als einen besonderen Ort der Hamburger Kulturlandschaft.
von Heinrich Oehmsen
„Orte, die sich selbst treu bleiben, gibt es selten. Das Polittbüro ist so einer“, heißt es in der Jury-Begründung beim diesjährigen Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares. Die Bühne am Steindamm wurde mit einem Sonderpreis für außergewöhnliche Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens ausgezeichnet. Hinter dem Polittbüro stehen zwei Künstler*innen, die bereits seit einer halben Ewigkeit gemeinsam arbeiten: Lisa Politt und Gunter Schmidt.
Kennengelernt haben sich die beiden Anfang der 80er-Jahre im Hamburger Tuntenchor, den der ausgebildete Kirchenmusiker Schmidt damals geleitet hat. Politt war aus einem Dorf in der Lüneburger Heide nach Hamburg gezogen, um hier Psychologie zu studieren, Erfahrungen als Rocksängerin hatte sie in der Provinz auch schon gesammelt. In Hamburg fand sie keine Band, aber die Freaks um Gunter Schmidt und Corny Littmann, der ebenfalls zum Tuntenchor gehörte. Politt entdeckt die Möglichkeiten, sich als singende Kabarettistin auch politisch zu äußern. 1984 gründete sie mit Schmidt das politische Kabarett Herrchens Frauchen.
Die beiden arbeiten im Duo, manchmal mit Band oder in einem größeren Ensemble. Politt tritt auch als Solo-Kabarettistin auf. Bei Herrchens Frauchen herrscht Arbeitsteilung: „Unsere Stücke als Duo schreibe ich, der Herr Schmidt steuert mir seine rasanten Ideen bei, und komponieren tun wir beide. Er arrangiert dann, trainiert sein Klavierspiel und seinen Text, dann finden wir uns zu den Proben zusammen. Ab da wird umformuliert, gestritten und gelernt“, beschreibt sie den künstlerischen Alltag von Herrchens Frauchen.
Der Drang, unabhängig zu sein, führte zur Gründung eines eigenen Theaters. Das Polittbüro liegt mitten in St. Georg am Steindamm mit seiner multikulturellen Szene. Früher residierte in dem Haus mit seinen etwa 300 Plätzen das Kino Neues Broadway, eine Zeit lang nutzte das nahe gelegene Deutsche SchauSpielHaus den Saal für kleinere Produktionen. 2003 übernahmen Politt und Schmidt das Theater. Sie haben daraus ein Zentrum für Kabarett und politische Lesungen, für Theater mit einem gesellschaftskritischen Ansatz und für Musik jenseits des Mainstreams gemacht. Thomas Ebermann gastierte hier viele Jahre mit seiner Vers- und Kaderschmiede, berühmte Schauspieler*innen wie Hannelore Hoger, Gustav-Peter Wöhler oder Burghart Klaußner unterstützen das Polittbüro und traten hier auf. Es gab Liederabende, die sich um Poet*innen wie Randy Newman, Tom Waits und Rickie Lee Jones drehen und immer wieder Uraufführungen wie zuletzt Bruder Norman nach dem Buch von Niklas Frank.
„Wir versuchen, möglichst ein Programm auf die Bühne zu bringen, das uns selbst interessiert und von dem wir der Meinung sind, dass es nicht sowieso schon überall auf den anderen Bühnen gezeigt wird: hinzuzufügen, was uns und anderen sonst fehlen würde. Ein linkes, der kritischen Aufklärung verpflichtetes Programm. Der Kontakt zu unseren Zuschauer*innen zeigt uns, dass das Polittbüro in diesem Sinne funktioniert. Dass das Publikum sich dabei eher qualitativ als quantitativ als hervorragend erweist, spiegelt die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse“, erklärt Politt.
Bei Gastspielen stehen Lisa Politt und Gunter Schmidt selbst an der Theke und sind sich nicht zu schade, Getränke auszuschenken oder Eintrittskarten zu verkaufen. So ein anspruchsvolles privates Theater zu führen bedeutet eine Menge an Selbstausbeutung, doch Politt und Schmidt sind glücklich über ihre Unabhängigkeit, weil sie Kultur in ihrem Sinne bewegen können.
Ihre linke und kritische Einstellung zu Politik und Gesellschaft wird nicht nur in den unzähligen Programmen deutlich, die Lisa Politt in den vergangenen drei Jahrzehnten geschrieben und aufgeführt hat. Als erste Frau erhielt Politt 2003 den Deutschen Kabarettpreis. Die Jury belohnte damit ihren unbarmherzigen Blick auf die Absurditäten des Lebens. In einem Interview mit der ZEIT hat sie gesagt: „Ich schreibe in einer Art von Notwehr. Was in Politik und Gesellschaft passiert und nicht in den Hirnkasten passt, weil es zu schräg ist, muss auf irgendeine Art und Weise wieder raus.“
In ihren Liedern und Texten bezieht Politt klare Stellung. Politische Wunden, in die sie ihre Finger legen kann, findet sie ständig. Männer und ihre Machtspiele und der Kampf der Geschlechter gehören ebenfalls zu ihren bevorzugten Themen. Ich mache meine Witze nicht zum Spaß, hieß mal eine Hörfunk-Kolumne von Politt für den WDR. Dieser Satz gilt weiterhin für die Kunst der Kabarettistin und Sängerin. Anbiederung ist ihr zuwider.