Das Theaterschiff Hamburg
Im Gespräch mit dem künstlerischen Leiter Michael Frowin
von Heinrich Oehmsen
„Taschenspielertricks gehen hier nicht“, sagt Michael Frowin. Die Bühne ist ungefähr so groß wie ein Nudelbrett, die Schauspieler*innen sitzen den Zuschauer*innen in der ersten Reihe fast auf dem Schoß. Die maximale Entfernung zur Bühne beträgt sieben Meter. „Man kann hier nichts verstecken. Aber das Publikum liebt diese Nähe und das Unverfälschte“, so Frowin.
Seit zwölf Jahren ist der Kabarettist, Librettist und Autor künstlerischer Leiter der Kulturinstitution Theaterschiff Hamburg. Dahinter verbirgt sich ein 34,50 Meter langes Küstenmotorschiff mit 251 Bruttoregistertonnen. Es liegt an einer Pontonanlage im Nikolaifleet, nicht weit entfernt vom Hamburger Rathaus, vom Michel und von der Elbphilharmonie. 120 Zuschauer*innen finden in den engen Reihen im Bauche des Schiffes Platz und können hier elf Monate im Jahr ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm mit Musikkabarett, Kindertheater, literarischen Abenden und Gastspielen erleben.
Seit 1975 gibt es die schwimmende und seetüchtige Bühne. Eberhard und Christa Möbius ließen die MS „Rita Funck“ damals umbauen, Möbius, inzwischen 93 Jahre alt, prägte seine Bühne, doch seit Beginn der Nuller-Jahre ist er nicht mehr dabei. Inzwischen leitet die Theaterfamilie Schlesselmann das Schiff. Und Michael Frowin ist seit zwölf Jahren als künstlerischer Leiter aktiv. „Ich habe Gerd Schlesselmann in Dresden kennengelernt, als ich dort in der ,Herkuleskeule’ gespielt habe. Zu der Zeit habe ich das erste Mal mit meinem Kollegen Lothar Bölck und mit einem Soloprogramm auf dem Theaterschiff gastiert und war begeistert von dem Raum und der familiären Atmosphäre. Als Gerd mich dann fragte, ob ich ihm beim Theaterschiff künstlerisch unter die Arme greifen wollte, habe ich zugesagt“, erzählt der Kabarettist.
Inhaber ist inzwischen Schlesselmanns Sohn Heiko. „Er kümmert sich ums Geld“, sagt Michael Frowin, während er die Bühne für seinen Soloabend Der Kanzlerchauffeur vorbereitet und Heiko Schlesselmann Bar, Einlass und Kasse für die zwei Stunden später laufende Vorstellung klar macht.
„Es ging damals darum, dem Theaterschiff nach der prägenden Zeit durch Möbius wieder ein Gesicht zu geben und ein Ensemble zu installieren. Zusammen mit dem Musiker Jochen Kilian und dessen Frau Anna Schäfer haben wir angefangen, dem Theaterschiff zu einem neuen Profil zu verhelfen“, erzählt Frowin. Der Kern des Spielplans sind musikalisch-satirische Programme mit einem deutlich politischen Anstrich. „Wir suchen nach Themen, die viele Leute interessieren und die an der aktuellen Zeit dicht dran sind“, umreißt Frowin die programmatische Leitlinie. Sehr erfolgreich war gerade die von ihm geschriebene und inszenierte Show Mutti macht den Weihnachtsmann, er hat eine Satire über Bürokratie mit dem Titel Menschen. Ämter. Katastrophen geschrieben und den Dauerbrenner Kann man mit Männern Urlaub machen. Auf dem Spielplan stehen aber auch Ringelnatz, ein Comedy-Crashkurs und der Macho Man.
Immer wieder taucht Bundeskanzlerin Angela Merkel in Frowins Werken auf. 2002 schrieb er schon Angela – Eine Nationaloper, seit zehn Jahren ist er als „Kanzlerchauffeur“ unterwegs. Sein aktuelles Soloprogramm spielte er gerade wieder auf dem ausverkauften Theaterschiff und zeigte zwei Stunden lang ein bissiges gesellschaftskritisches Programm, in dem er Pointe an Pointe reiht. Man fragt sich, wie er es schafft, diese enormen Textmassen zu bewältigen und jeden Witz exakt zu setzen. Auch Wegen Eröffnung geschlossen dreht sich um den Berliner Polit-Zirkus und ist ein aktuelles Programm des „Kanzlerchauffeurs“.
„Im Herbst 2021 werde ich die Figur des ,Kanzlerchauffeurs’ abgeben, wenn Merkels Regierungszeit endet. Sie ist eine Figur, die mich schon lange begleitet. Auch wenn ich ihre Politik kritisch sehe: Ihr Werdegang hat mich fasziniert. Sie war eine Person, die man lange unterschätzt hat und die dann zur mächtigsten Frau der Welt wurde“, so Frowin über die CDU-Politikerin. Zehn Jahre lang war er im MDR-Fernsehen mit dem „Kanzlerchauffeur“ in einer Sendung mit dem Titel Kanzleramt, Pforte D zu sehen. Im TV gibt es den vielseitigen Autor weiterhin im SWR in der Comedy-Sendung Spätschicht zu sehen.
In den kommenden Monaten wird der in Berlin lebende Michael Frowin sich verstärkt um das Theaterschiff kümmern, bevor es dann Anfang Mai für eine Generalüberholung für einige Monate in die Werft geht. Wenn das Theaterschiff seinen Liegeplatz verlässt, steht eine Komplettsanierung von Schiff und Pontonanlage an. „Der Boden und die Wände sind seit 1975 nicht mehr geöffnet worden. Das Schiff wird entkernt und auf seine Substanz untersucht und saniert, sowohl innen als auch außen“, schildert Frowin. Das Theater hat in den letzten Monaten durch Crowdfunding, Spenden, Stuhlpatenschaften und Benefizveranstaltungen, u.a. in der Elbphilharmonie, 260.000 Euro an Eigenleistung eingesammelt, doch das reicht hinten und vorne nicht für die nötige Sanierung. „Wir haben 400.000 Euro aus dem Hamburger Sanierungsfonds bekommen sowie Unterstützung aus Berlin, wo der Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs für uns Geldmittel locker machen konnte“, berichtet Frowin.
Trotz der nötigen Zwangspause geht der Spielbetrieb des Theaterschiffes auf einem anderen Schiff weiter. Die Flussschifferkirche, unweit an der Hohen Brücke 2 gelegen, gewährt den Theaterleuten bis September Asyl. Zur Theaternacht Hamburg soll das Theaterschiff dann zurück im Hamburger Hafen sein – mit neuem Anstrich, überholter Schraube und bereit für die nächsten Spielzeiten. Die nächste Premiere steht am 18. Februar an. Dann heißt es für Bodil Strutz und Axel Pätz: GENUSS – oder Weine nicht, wenn die Rebe fällt – Musik-Kabarett über alles, was reingeht: Trinken, Essen - und Wein.