Unterhaltung für Kopf und Bauch 

Corny Littmann erzählt im Interview von den Anfängen des Schmidt-Theaters, das am 8. August 30-jähriges Jubiläum feierte. Littmann, inzwischen 65 Jahre alt, äußert sich zu den positiven und negativen Seiten auf dem Kiez, erinnert sich an Comedy-NewcomerInnen im Schmidt, die zu Stars geworden sind, und erklärt, warum Extrem-Tourismus und Plastikberge in eine Unterhaltungs-Revue wie „Tschüssikowski“ passen.

von Heinrich Oehmsen

 

Theater Hamburg: Als Sie vor 30 Jahren mit ein paar MitstreiterInnen das Schmidt-Theater gegründet haben, wie sah der Hamburger Kiez damals aus?
Corny Littmann: Der Kiez war in den 80er Jahren ziemlich runtergekommen, der Spielbudenplatz eine Einöde. Zwischen St. Pauli Theater und Operettenhaus war Niemandsland. Mittenrein in dieses Niemandsland haben wir ein ehemaliges Kino zum Theater gemacht. Uns wurde prophezeit, dass das höchstens sechs Monate gut gehen würde. Der Spielbudenplatz war damals noch die tote Seite der Reeperbahn. Der sogenannte Lauf war auf der anderen Seite, das hat sich 30 Jahre später völlig umgekehrt.

 

Warum haben Sie sich dann überhaupt um ein Haus bemüht, wenn die wirtschaftlichen Prognosen nicht gerade berauschend waren?
CL:
Das Schmidt-Theater ist aus der „Schmidt Familie“ entstanden. „Familie Schmidt“ war eine der bekanntesten deutschen freien Theatergruppen. Wir sind durch Deutschland getourt, von Flensburg bis an den Bodensee, haben sehr erfolgreich in Hamburg auf Kampnagel gespielt und wollten sesshaft werden. Wir waren des Reisens müde. Wir haben damals auf St. Pauli gelebt und diese Immobilie stand zur Vermietung an.

 

"Es bestand eine große Offenheit und Neugierde jungen KünstlerInnen gegenüber. Wer in Hamburg spielen wollte, für den war das Schmidt-Theater sehr schnell die erste Adresse."

 

Schmidt Theater Fassade
Foto: Ingo Boelter
 

Wann haben Sie begonnen, auch andere KünstlerInnen ins Schmidt zu holen und ein Programm zu machen, das über die „Familie Schmidt“ hinausgeht?
CL:
Das Schmidt-Theater war eine Fortsetzung meiner Aktivitäten auf Kampnagel. Dort sind viele Hamburger Gruppen beim Sommerfestival aufgetreten. Es gab viele Kontakte zu anderen Hamburger Gruppen. Die ersten, die hier aufgetreten sind, waren Aprillfrisch MäGädäM Schwarz, zu denen unter anderem Stefan Gwildis gehörte, der ja später eine starke Solokarriere gestartet hat. Deren Musical „Wuttke II“ war damals ein sehr erfolgreiches Stück.

 

Es hat ja auch in der „Mitternachtsshow“ sehr viele große Namen gegeben...
CL: Später wurden daraus große Namen. Atze Schröder ist hier genauso aufgetreten wie Mario Barth und viele andere.

 

Erfüllt es Sie mit Stolz, dass viele dieser KünstlerInnen hier ihre Karriere gestartet haben oder ihre Visitenkarte im Schmidt abgegeben haben?
CL: Unser Konzept war es, jungen unbekannten KünstlerInnen die Möglichkeit eines Auftritts zu geben. Einen solchen Ort gab es in Hamburg damals nicht. Es bestand eine große Offenheit und Neugierde jungen KünstlerInnen gegenüber. Wer in Hamburg spielen wollte, für den war das Schmidt-Theater sehr schnell die erste Adresse. Es war eine Zeit, in der Comedy, wie wir sie kennen, überhaupt erst entstanden ist. Die Ausstrahlung der „Mitternachtsshow“ in der ARD hat uns zu bundesweiter Popularität verholfen. Das war für die Zukunft des Theaters sehr wichtig.

 

Drei Jahre nach der Eröffnung des Schmidt haben Sie mit ihrem Partner Norbert Aust Schmidts Tivoli eröffnet, das ehemalige „Zillertal“. Warum sind Sie da wieder voll ins Risiko gegangen?
CL: Wir waren von Anfang an sehr erfolgreich mit dem Schmidt-Theater. Dann ergab sich die Möglichkeit, diese große Immobilie als Theater nutzen zu können. So eine Chance kommt alle zehn bis 20 Jahre einmal vor. Das war ein zweiter großer Sprung ins kalte Wasser, weil wir jeden Abend nicht mehr nur 230, sondern fast 1000 Plätze zu füllen hatten. Das war auch ein ungeheurer organisatorischer Aufwand. Im Nachhinein würde ich sagen, dass es das Schmidt ohne das Tivoli nicht mehr geben würde.

 

Weil das Schmidt mit damals 230 Plätzen zu klein war?
CL: Ein Privattheater mit 230 Plätzen ohne staatliche Subventionen kann man nicht dauerhaft betreiben.

 

Petra Staginnus & Veit Schäfermeier in "Tschüssikowski!"
Foto: Morris Mac Matzen
 

Sie haben gerade mit „Tschüssikowski“ eine Premiere im Schmidt gefeiert, die außerordentlich gute Kritiken bekommen hat und die sehr aufwändig produziert worden ist. Ist dieses Sommer-Musical nicht schon fast zu groß für das Haus, das nach dem Neubau im Jahr 2004 jetzt 400 Plätze hat?
CL: „Tschüssikowski“ erscheint mit elf DarstellerInnen auf den ersten Blick ungewöhnlich groß. Wir haben andere Revuen in ähnlicher Größe gespielt, aber da saßen die MusikerInnen mit auf der Bühne. Jetzt sind TänzerInnen dazugekommen und wir haben auf das Orchester verzichtet. Das bot sich sowieso an, weil diese Musik mit all den bekannten Hits live sehr schwer herstellbar ist. Elf Menschen auf der Bühne des Schmidt ist an der Grenze, aber das haben wir in der Vergangenheit immer wieder gehabt.

 

"Die Unterhaltung schließt die Haltung nicht aus."

 

„Tschüssikowski“ ist extrem lustig. Aber es gibt zum Beispiel auch den Song „Santa Maria“, bei dem im Hintergrund Plastikberge am Strand gezeigt werden, wie das gerade in der Dominikanischen Republik passiert ist.
CL: Wir haben den Anspruch und das Prinzip, dass wir gute Unterhaltung für Kopf und Bauch machen wollen. Wir streifen auch in einer solchen Revue Themen, die die ZuschauerInnen vielleicht erstmal irritieren und die scheinbar nicht zur Unterhaltung gehören. In „Tschüssikowski“ gibt es ja auch die Nummer vom Extrem-Touristen, der an die deutsch-polnische Grenze fährt. Wie Udo Lindenberg immer sagt: „Wir machen Unterhaltung mit Haltung“. Die Unterhaltung schließt die Haltung nicht aus.

 

Sie haben zuletzt mit dem Schmidtchen bereits das dritte Theater eröffnet, sie haben das Klubhaus auf den Weg gebracht und mit Lindenberg die „Panik City“ eröffnet. Was treibt Sie an?
CL: „Panik City“ ist das letzte große Projekt, das ich anfangen wollte. Im Theater werde ich auch in Zukunft noch neue Stücke machen, aber keine großen Investitionen mehr in große Projekte stecken. Ich habe mich dazu entschieden, jetzt längere Pausen zu machen, und ein bisschen mehr als früher das Leben andernorts zu genießen. Es gibt eine Charaktereigenschaft von mir, die tatsächlich nur wenige kennen: Ich kann loslassen und Verantwortung an andere abgeben.

 

In ihren Theatern hat es ja im vergangenen Jahr den Wechsel gegeben, dass Norbert Aust seinen Geschäftsführerposten an seine Tochter Tessa und seinen Schwiegersohn Hannes Vater übergeben hat. Wie läuft die Kommunikation mit den jungen Leuten?
CL: Die Geschäftsführung machen Hannes, Tessa und ich zu dritt. Formal ist Tessa die gleichberechtigte Geschäftsführerin neben mir. Entscheidungen treffen wir zu dritt. Ich finde es sehr erfrischend, dass diese beiden jungen Menschen etwas bewegen wollen. Was den künstlerischen Bereich angeht, haben wir mit Martin Lingnau, Heiko Wohlgemuth und mir ein bewährtes Team, das über Jahre zusammenarbeitet.

 

v.l.: Norbert Aust, Hannes Vater, Tessa Aust, Corny Littmann
Foto: Christina Körte
 

Im September wird nebenan in Schmidts Tivoli ein weiteres Jubiläum gefeiert, nämlich 15 Jahre „Heiße Ecke“. Wie erklärt sich dieser unglaubliche Erfolg dieses Kiez-Musicals?
CL: Es ist authentisch, die DarstellerInnen sind hochprofessionell und es ist deutschsprachig. Es ist kein importiertes Musical und inzwischen das erfolgreichste deutsche Musical. Gepaart mit der Spielfreude der AkteurInnen transportiert sich die Geschichte. Es gibt an anderen Theatern viele Produktionen mit aufwändiger Technik. Was da in Sekundenschnelle an Bühnenbildern entsteht, ist beeindruckend, aber das Handgemachte mit den schnellen Kostümwechseln und das Schlüpfen in andere Rollen, das geprägt wird von den SchauspielerInnen wie bei uns, hat eine größere Attraktivität für ZuschauerInnen. Deshalb ist die „Heiße Ecke“ so erfolgreich.

 

"Alle, die mir vorwerfen, ich würde dafür sorgen, dass es den alten Kiez nicht mehr gibt, denen stelle ich die Gegenfrage: Was möchtet ihr denn wiederhaben?"

 

Es gib ein paar KritikerInnen, die Ihnen vorwerfen, dass Sie zu mächtig sind, weil Sie inzwischen drei Theater auf dem Kiez betreiben und dafür verantwortlich sind, dass der alte Kiez verschwindet. Ist dieser alte Kiez überhaupt erhaltenswert?
CL: Alle, die mir vorwerfen, ich würde dafür sorgen, dass es den alten Kiez nicht mehr gibt, denen stelle ich die Gegenfrage: Was möchtet ihr denn wiederhaben? Dann ist ganz schnell Stille. Als ich in den 80er Jahren hierher gekommen bin, da gab es jede Menge Peep-Shows, es gab Schiessereien. Hamburger sind hier kaum hergekommen. Tatsache aber ist, dass der Massentourismus, wie er beschrieben wird, nur freitags und samstags stattfindet. Von Sonntag bis Donnerstag gibt es eine Fläche auf dem Kiez, wo sich viele Menschen aufhalten und das ist der Spielbudenplatz. Das hat sich gegenüber früher fundamental geändert. Die Theater haben geöffnet und locken jetzt HamburgerInnen an. Die Auswärtigen kommen eher am Wochenende.

 

Was sind die positiven und was die negativen Entwicklungen auf dem Kiez?
CL: Positiv ist, dass die Musikkultur hier eine Heimat gefunden hat. Doch ich finde es bedauerlich, dass die gesamte Kino-Kultur vom Kiez verschwunden ist. Es gab noch in den 70er Jahren kleine Kinos, in denen heute Sex-Shops und andere Geschäfte beheimatet sind, wie Radiant, Oase, Aladin und einige mehr. Leider gibt es keinen Ersatz dafür. Problematisch sind die vielen Kioske. 50 Kioske für die Nahversorgung sind viel zu viel und es wird Zeit, dass der Verkauf von Alkohol ab 22 Uhr untersagt wird.
Es gibt viele positive Entwicklungen. Neue Lokalitäten haben sich angesiedelt. Das East Hotel ist dafür ein Beispiel. Es gibt mittwochs den Nachtmarkt auf dem Spielbudenplatz, donnerstags die Food Trucks. Auch die Last-Minute-Kasse für Theaterkarten "Quiddje", die vor ein paar Wochen auf dem Spielbudenplatz eröffnet worden ist, war lange überfällig. Es bewegt sich viel, es herrscht eine große Vielfalt, das tut dem Kiez ausgesprochen gut.