Politische Spielzeit am Deutschen Schauspielhaus
Was René Pollesch, Herbert Fritsch und Studio Braun in der neuen Spielzeit in Hamburg inszenieren
Heinrich Oehmsen
Karin Beier hatte insgeheim auf volle Säle gehofft, wenn die neue Saison im September startet. Doch die Delta-Variante macht der Schauspielhaus-Intendantin wieder einen Strich durch die Rechnung. „Wir müssen wohl dort anknüpfen, wo wir nach der Sommerpause aufgehört haben“, sagte sie bei der Spielzeit-Pressekonferenz im Malersaal. Die neue Saison beginnt im Haus an der Kirchenallee im September mit gleich acht Premieren. Viele der Inszenierungen waren bereits für die vergangene Saison geplant, konnten aber wegen der Pandemie nicht herausgebracht werden. Als thematischen Schwerpunk nannte Beier die Frage nach dem Staat als Lenker und als Retter in der Pandemie. Wie ist die Balance zwischen persönlicher Freiheit und dem Gemeinwohl austariert? Welche Entscheidungen muss der Staat fällen? Wo muss er sich zurückhalten?
Wie gut es allen Anwesenden in Hamburg in einer stabilen Demokratie geht, wurde bei der Pressekonferenz mit einer Videoschaltung zu Viktor Martinowitsch deutlich, der in Belarus lebt und in seinem Heimatland massiv durch die Schergen von Diktator Lukaschenko bedroht wird. „Ich bin nicht sicher hier“, sagte er zu Beginn des Gesprächs. Martinowitsch hat den Roman „Revolution“ geschrieben, der in Belarus verboten ist und konfisziert wurde. Das Schauspielhaus wird im April 2022 eine Theaterfassung des Werkes zeigen, Dušan David Parízek wird sie inszenieren. Martinowitsch sagte, dass die Realität in Belarus grausamer sei als zum Beispiel in George Orwells Romanen. „Die Kultur hier ist komplett zerstört. 200.000 Bürger haben das Land in den vergangenen zwölf Monaten verlassen. Lukaschenko hat etwa 1500 Organisationen ausgelöscht.“
Zum Auftakt der neuen Spielzeit wird Lina Beckmann als gewalttätiger König Richard III. zu erleben sein. Am 3. September feiert Karin Henkels Inszenierung von zwei Shakespeare-Dramen Hamburger Premiere. Die gefeierte Erstaufführung der Fassung lief gerade bei den Salzburger Festspielen. Henkel nimmt die Dramen „Heinrich VI“ und „Richard III“ zum Ausgangspunkt ihrer Bearbeitung. „Richard the Kid & the King“ lautet der Titel des vierstündigen Spektakels, in dem Shakespeare die Deformation und Verrohung einer Gesellschaft zeigt, in der Richard überhaupt erst zum Tyrannen werden kann. Weitere Höhepunkte im September sind Oliver Frijics Bearbeitung von Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ (Premiere 12.9.) und die Bühnenadaption von Ian McEwans „Kindeswohl“, die Karin Beier gerade probt und am 18.9. herausbringen wird.
Auch das Deutsche Schauspielhaus folgt dem Trend, verstärkt Romane auf die Bühne zu bringen. Außer den drei genannten Produktionen stehen auch David Grossmans „Was Nina wusste“ (19.9., Malersaal), Joseph Conrads „Der Geheimagent“ (12.11.) und die Uraufführung von „Die Freiheit einer Frau“ von Édouard Louis (5.3. 2022) auf dem Programm. Nachdem er im Malersaal bereits Grossmans „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ inszeniert hat, wird Dušan David Parízek auch „Was Nina wusste“ erzählen. Darin geht es um eine israelisch-jugoslawische Familiengeschichte, die über drei Generationen reicht. Frank Castorf wird sich Joseph Conrads „Geheimagenten“ vornehmen. Die Frage vieler Theatergänger dürfte lauten: Wie lang wird seine Bearbeitung dieses Mal? Vier, fünf oder gar sechs Stunden? Falk Richter schließlich wird sich Édouard Louis’ Roman widmen, der auf dessen eigener Lebensgeschichte im Arbeitermilieu der französischen Provinz basiert.
Zehn Uraufführungen wird es in der nächsten Spielzeit am Schauspielhaus geben. Darunter sind eine neue Performance-Installation der Gruppe SIGNA mit dem Titel „Die Ruhe“. Dafür wird im Paketpostamt in Altona in der Kaltenkirchener Straße ein Regenerationszentrum aufgebaut, in dem es um die kognitive Erneuerung des von der Pandemie erschöpften Menschen gehen soll (19.11.). Ein Projekt zu Sterbehilfe wird Karin Beier zusammen mit der Journalistin Brigitte Venator (Premiere am 11.12.) umsetzen. „Aus dem Leben“ heißt der Abend. Auch Barbara Bürk und Clemens Sienknecht haben sich den nächsten musikalischen Spaß ausgedacht. „Günther Gründgens – ein Leben, zu wahr, um schön zu sein“ wird er heißen. Nach den bisherigen Erfolgen mit „Effi Briest“, „Anna Karenina“ und anderen Singspielen im Malersaal dürfen Bürk und Sienknecht am 21.1. 22 gleich auf die große Bühne an der Kirchenallee. Die Kartennachfrage dürfte hoch sein.
Das zukünftige Repertoire an der Kirchenallee ist gespickt mit weiteren großen Namen: René Polleschs „J’accuse!“ wird uraufgeführt (25.9.), Studio Braun bringt endlich seine „Michael Kohlhaas“-Adaption heraus (4.12.), auch Michael Thalheimers Interpretation von Bernard-Marie Koltes’ „Quai West“ kommt endlich auf die Bühne (18.12.) und auch Herbert Fritsch inszeniert wieder im Schauspielhaus. Er wird sich Thomas Bernhards „Die Jagdgesellschaft“ vornehmen und die komische Seite Bernhards zeigen. Es darf gelacht werden.
Weitere Informationen unter www.schauspielhaus.de