Im Fokus der
Theaterpreis Hamburg-Jury im Juli 2022

Auch vor der Sommerpause war die Jury des Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares in gewohnter Manier intensiv in den Hamburger Theatern unterwegs, um die Preisträger*innen der Spielzeit 2021/2022 ausfindig zu machen. Hier kommen die nächsten nominierten Produktionen. Die ein oder andere ist vor der Sommerpause noch zu sehen – oder auch in der nächsten Spielzeit.

Die Jurymitglieder sind Dr. Inge Volk, Jan Peter Gehrckens, Patrick Giese, Christian Hanke, Gunter Mieruch, Maike Schäfer und Elke Westphal.

 

Der Tod in Venedig im Thalia in der Gaußstraße

Seht euch den Trailer hier an.

Der Tod in Venedig © Krafft Angerer

Die Cholera geht um. Unauffällig versucht man, Venedigs Straßen zu desinfizieren. Heimlich wird abgewogen zwischen Seuchenschutz und den Interessen von Fremdengewerbe und kürzlich eröffneter Gemäldeausstellung. Verlässliche Auskünfte über Infektionszahlen gibt es nicht, doch das Gerücht einer bevorstehenden Sperre kursiert unter den Einheimischen. Die internationale Bohème, die im Grand Hotel die Sommerfrische genießt, ahnt nichts von der Gefahr. Wohlhabende Franzosen, Polen, Russen, Engländer und Deutsche genießen zwischen Strand und Speisesaal das dekadente Leben am Lido. Der bürgerliche Schriftsteller Gustav von Aschenbach entdeckt im polnischen Jungen Tadzio den Inbegriff von Schönheit und Vergänglichkeit. Fatalistisch verliert sich der seriöse Deutsche in dieser letzten selbstzerstörerischen Leidenschaft. Als er von der Epidemie erfährt, beschließt auch er, zu schweigen: angezogen vom Ausnahmezustand, dem „phantastischen Grauen“ der Seuche, diesem „schlimmen Geheimnis der Stadt, das mit seinem eigensten Geheimnis verschmolz und an dessen Bewahrung auch ihm sehr gelegen war“. Zeit seines Lebens auf Würde und Disziplin bedacht, wirft er seine Selbstachtung und Moral über Bord und gibt sich dem Verfall hin.

 

Tannhäuser in der Staatsoper Hamburg

Hier könnt ihr den Trailer sehen.

Tannhäuser © Brinkhoff/Mögenburg 

Ein Künstler im Widerspruch – zu sich selbst, zur Gesellschaft, zur geliebten Elisabeth, zur erotischen Faszination der Venus. In der mittelalterlichen Legende vom Sängerkrieg sucht Richard Wagner in den Jahren vor der Revolution von 1848, die scheitern und ihn zum steckbrieflich gesuchten Flüchtling machen wird, nach Antworten. Ist Konformität der Tod der Kunst? Gibt es eine unmittelbare Wahrheit jenseits von Moral und Kirche? Wie groß ist die Kraft der Liebe? Im Scheitern des Minnesängers spiegelt sich auch Wagners jahrzehntelanger Kampf um Anerkennung. Immer wieder befasste er sich mit dem Werk, die Uraufführung in Dresden 1845 stieß auf Unverständnis, die Erstaufführung in Paris 1861 wurde zum Skandal. „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“, war Wagners Resümee kurz vor seinem Tod.

 

Don Pasquale in der Staatsoper Hamburg

Den Trailer zu Don Pasquale gibt's hier.

Don Pasquale © Brinkhoff/Mögenburg 

Ein älterer Herr, schrullig, wohlhabend und bereit für eine letzte lustvolle Liebe, dazu ein junges Paar, dem Geldnot auf dem Weg zum Liebesglück im Weg steht, und ein befreundeter Arzt, der die perfekte Intrige parat hat, um die individuellen Wünsche in einer Dreieckskonstellation in die Luft gehen zu lassen. Die vier Figuren scheinen frisch der Commedia dell’arte entsprungen und doch stehen sie als Menschen da: verletzlich, angreifbar und voller unvereinbarer Sehnsüchte. Wenn der alte reiche Mann die junge schöne Frau will, die junge schöne Frau aber lieber den reizenden jungen Mann – das Geld aber irgendwie auch … ja, dann sind wir mittendrin im unwiderstehlichen Sog einer Opera buffa, die das Lachen über alle Schmerzgrenzen hinweg feiert. Ein böses Spiel und doch so wunderbar.

 

Faust im Opernloft

Faust © Inken Rahardt 

Was zählt im Leben wirklich? Sind es Erfolg, Geld und Macht? Und welche Risiken sind wir bereit, dafür einzugehen? Die drei jungen Wissenschaftler*innen Margarethe, Faust und Mephisto arbeiten an einem neuen Medikament. Es könnte weltweit Menschen heilen - und auch Faust selbst. Er sitzt im Rollstuhl und träumt von einer Zukunft, in der er wieder laufen kann - und er träumt von Margarethe. Margarethe ist es egal, ob Faust laufen kann: Sie liebt ihn. Aber was bedeutet das für ihre Freundschaft mit Mephisto? Drei Freunde, von denen zwei ein Paar sind - kann das gut gehen? Doch dann gelingt Margarethe der große Durchbruch: Ihre Forschung könnte Millionen von Menschen helfen - wenn die Testreihen die Sicherheit des Medikaments bestätigen. Mephisto will nicht warten: Er überzeugt Faust, das unerprobte Mittel im Selbstversuch zu nehmen und zu verkaufen. Aber wie weit dürfen wir Menschen gehen, um Krankheiten zu heilen? Und wie viel Macht hat Forschung, wie viel Geld und Einfluss stecken in einem kleinen Fläschchen eines vermeintlich bahnbrechenden neuen Medikamentes?

 

Revolution im Deutschen SchauSpielHaus Hamburg

Seht euch hier den Trailer an. 

Revolution © Maris Eufinger 

Der junge Architektur-Dozent Michail German, Spezialist für Stalin-Bauten, wird in einen mysteriösen Autounfall verwickelt und gezwungen, umgehend eine größere Summe Geld aufzutreiben. Das ist der Anfang seiner Verbindung mit einer mafiösen Gruppe um einen greisen Paten, die alle staatlichen Organe zu kontrollieren scheint und in deren Arme Michail fast ohne Widerstand zu sinken scheint. Schnell lernt er die Schokoladenseite der Diktatur schätzen, auf der es sich gut leben lässt – wären da nicht diverse Einsätze, die äußerste Brutalität und Skrupellosigkeit erfordern. Das Geschehen nimmt gespenstisch Fahrt auf. Der Held und Ich-Erzähler verlässt seine Geliebte – die Adressatin des Romans, der die neuen Reichtümer unheimlich sind – und korrumpiert sich selbst final. Noch im Moment des größten möglichen Widerstands muss er sich als absolut vorhersehbar erkennen. Selten wurde die Frage nach der Manipulierbarkeit von Menschen so radikal und zeitgemäß gestellt. So handelt Revolution nicht von Revolution, eher vom Gegenteil: Dem Fortbestand und der Fortpflanzung von Macht.

 

Gutes aus Hamburger Landen im LICHTHOF Theater

Gutes aus Hamburger Landen © Isabel Machado Rios

Das LICHTHOF Theater lädt ein zu einem theatralen Ausflug. Per Shuttlebus geht es in die Vier- und Marschlande, auf den Milchhof Reitbrook, wo wir auf verschiedene Expert*innen des hanseatischen Landlebens treffen. Und die haben uns einiges zu sagen: Wie man am besten die Jahreszeiten austrickst. Was hinter den Bio-Siegeln steckt. Wie man Hamburg zu 100% regional ernähren könnte. Was die Vierländer Tracht über eine Frau verrät. Wer Erdbeerkönigin werden kann. Ob die Hamburger Landwirtschaft überhaupt eine Zukunft hat oder dem Wachstum der Stadt schon bald zum Opfer fällt. Und schließlich: was die junge Generation über all das denkt. Landwirtschaft in der Metropole? Tatsächlich ermittelt die Landwirtschaftszählung über 600 landwirtschaftliche Betriebe auf Hamburger Boden. Welches Selbstverständnis haben die Menschen, die Lebensmittel in und für Hamburg produzieren? Fühlen sie sich von den Städter*innen wertgeschätzt? Oder eher missverstanden? Welchen Stellenwert hat regionale Ernährung in Gesellschaft und Politik wirklich?

 

Die Unsichtbaren im Ernst Deutsch Theater

Die Unsichtbaren © Kiran West 

In John Neumeiers neuester Kreation Die Unsichtbaren erkunden die jungen Tänzer*innen des Bundesjugendballetts die Öffnung Deutschlands für moderne Tanzrichtungen in den 1920er Jahren und die Entwicklungen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Die Tanz-Collage reflektiert die Vorreiterrolle Deutschlands im Tanz in den 1920er Jahren, als wichtige Choreograf*innen der Zeit wie Rudolf von Laban oder Mary Wigman stilprägend in Deutschland wirkten und die hiesige Tanzszene aufblühte. Anhand von Texten, Gesang, Musik und Tanz wird erlebbar gemacht, wie sich die Situation der damaligen Tänzer*innen schließlich durch den Nationalsozialismus veränderte. Als Rahmenprogramm würdigt eine Begleitausstellung die Opfer und Verfolgten aus der Welt des Tanzes.

Blickpunkte