Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares 2022 | Die Preisträger*innen
Am Montag, den 21. November 2022, versammelte sich die Hamburger Theaterwelt im Jungen SchauSpielHaus am Wiesendamm, um die Preisträger*innen des Theaterpreis Hamburg – Rolf Mares 2022 zu feiern. Wir stellen euch hier die Preisträger*innen vor, die für ihre herausragenden Leistungen in der Spielzeit 2021/2022 ausgezeichnet wurden.
Die Preisträger*innen werden übrigens von einer unabhängigen Jury bestehend aus Dr. Inge Volk, Jan Peter Gehrckens, Patrick Giese, Christian Hanke, Gunter Mieruch, Maike Schäfer und Elke Westphal ausgewählt.
Wir gratulieren allen Preisträger*innen sehr herzlich!
Herausragende
Darstellung
Claudia Isbarn
für die Rolle der Maria in „Die Maria und der Mohamed“
das kleine hoftheater
Die Begründung der Jury lautet:
Dem kleinen hoftheater ist mit der Inszenierung „Die Maria und der Mohamed“ ein ganz besonderer Theaterabend gelungen. Harun Yildirim als syrischer Flüchtling Mohamed, aber vor allem Claudia Isbarn als zunehmend pflegebedürftige Maria berührt und beeindruckt. Sie wehrt sich wortgewandt, bissig und verletzend gegen übergriffige Pflegekräfte und jede Form der Bevormundung. Auch der eher zufällig anwesende Mohamed bleibt von ihren fremdenfeindlichen Bemerkungen nicht verschont. Trotzdem spürt man unter der rauen Schale immer auch die lebenskluge und mitfühlende Frau, die nach und nach erkennt, dass der hilfsbereite Mohamed selbst verletzlich und hilfsbedürftig ist. So kann sie helfen und seine Hilfe annehmen und blüht sogar noch einmal auf. All diese Facetten beherrscht Claudia Isbarn überzeugend und hat damit zu einem Theaterabend beigetragen, der noch lange im Gedächtnis bleibt.
Daniel Hoevels
für die Rolle des Michail German in „Revolution“
Deutsches SchauSpielHaus Hamburg
Die Begründung der Jury lautet:
Daniel Hoevels ist eine Idealbesetzung in diesem hellsichtigen Stück des belarussischen Autors Viktor Martinowitsch, in einer rasanten, ästhetisch-politisch bestechenden Inszenierung mit einem glänzend aufspielenden Ensemble an seiner Seite. Der Schauspieler verkörpert die Karriere des jungen, blassen, ehrgeizigen Moskauer Architektur-Dozenten Michail German, der sich in den 2010ern mit einem mafiösen Geheimbund einlässt. Hoevels legt in seiner mimisch, gestisch, sprachlich spannungsgeladenen Gestaltung die brisante Mixtur eines unpolitischen Mitläufers mit dem Willen zur Unterwerfung bei gleichzeitiger Verführbarkeit der Macht offen. Wie Ohnmacht, Angst, Scham, Skrupel, Korrumpierbarkeit und Opportunismus umstandslos umschlagen können in Gier, Gewalt und Herrschaft. Ihm zuzusehen, wie er in diesem abgründigen Spiel zwischen „Comic-Strip, Ego Shooter und Tarantino-Trash“ (nachtkritik) seine Figur dennoch nicht verrät, ist schlicht großartig.
Jascha Schütz
für die Rolle des „Woyzeck“ im gleichnamigen Stück
Theater das Zimmer
Die Begründung der Jury lautet:
Die „Woyzeck“-Inszenierung von Björn Kruse – ein Solo mit Jascha Schütz – holt das Publikum bereits in die Geschichte hinein, bevor das Stück überhaupt begonnen hat. Direkt vor den Zuschauer*innenreihen befindet sich ein Käfig aus Maschendraht, 2 x 3 m groß, im ansonsten leeren Raum. Darin auf einem Hocker sitzend, mit gesenktem Kopf, ein Mann. Woyzeck wartet auf seine Hinrichtung und erinnert sich: An den Hauptmann, der ihn demütigte, den Doktor, der ihn für medizinische Experimente missbrauchte, den Major, der ihm die Frau wegnahm, und an Marie, die ihn betrog und die er tötete. Jascha Schütz spielt nicht nur Woyzeck selbst, sondern auch alle anderen Figuren absolut glaubhaft und teilweise in schnellem Wechsel – auf einer winzigen Spielfläche mit lediglich einer Handvoll Requisiten. Ein sehr intensives Spiel – von der ersten bis zur letzten Minute fesselnd.
Konzeption
John Neumeier
„Die Unsichtbaren“
Ernst Deutsch Theater
Die Begründung der Jury lautet:
Wie Vergangenheit und Gegenwart in einer zwingenden Choreografie in eins greifen können, wie politisch akzentuiert John Neumeier sein Thema mit dem Bundesjugendballett und Schauspieler*innen auf die Bühne des Ernst Deutsch Theaters bringt, ist wichtiges, zutiefst bewegendes Zeit-Theater. Eine Tanzcollage nennt der Choreograph „Die Unsichtbaren“, in der es um Tanz und Tänzer*innen im Deutschland der 20er und 30er Jahre geht, um die Pionier*innen des modernen Tanzes, klug verwebt mit dem Leben Mary Wigmans. Von Haltung und Vernichtung, von Widerstand und Stil erzählt das schmerzhaft hinreißende Erinnerungsmosaik. Die Verfolgten damals, Juden und Jüdinnen, Homosexuelle, Sinti, Roma, Unangepasste – viele von ihnen ermordet, viele von ihnen vergessen, unsichtbar geworden. Diese Unsichtbaren zurück auf die Bühne zu holen – ihre Kunst durch das mitreißende Bundesjugendballett sichtbar zu machen, ihre Namen zu nennen, sie im Tanz leben zu lassen und dabei ganz einfach die Brücke ins heute zu schlagen, nach Verantwortung zu fragen – ein gelungenes Experiment, ein grandioses Konzept, ein unvergesslicher Abend.
Regie
Ayla Yeginer
„Kleiner Mann – was nun?“
Ohnsorg Studio
Die Begründung der Jury lautet:
Was für berührende und amüsierende Momente im Ohnsorg Studio, wieder einmal! Zu sehen auch in „Kleiner Mann – was nun?“ nach dem Roman von Hans Fallada über das Elend der kleinen Leute in der großen Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre. Ayla Yeginer hat es in teils platt und teils hochdeutscher Sprache eindringlich und höchst unterhaltsam inszeniert. In den engen Behausungen Pinnebergs, auf Treppen, in Kellern, Logen und Lauben spielen Julia Kemp und Jannik Nowak die letztlich traurige Geschichte des jungen Ehepaars in einer großartigen Mischung aus Liebe, Zuversicht und zunehmender Verzweiflung. Doch es passiert noch mehr. Ayla Yeginer lässt zwei weitere Schauspieler*innen, Rabea Lübbe und Jochen Klüßendorf, in zahlreichen Rollen, meist schrill überzeichnet, skurrile Momente der Zeit spielen. Großartige Satire, die Klüßendorf auch durch seine Musik bereichert. Die Regisseurin weiß das alles zu einem beeindruckenden Ganzen zusammenzufügen.
Maske
Julia Wilms, Jutta Böge, Esther Chahbaznia und Jelena Miletic
„Tod in Venedig“
Thalia Theater / Thalia in der Gaußstraße
Die Begründung der Jury lautet:
Es gibt diesen zugegebenermaßen etwas abgenutzten Spruch „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ – hier trifft dieser aber auf besondere und außergewöhnliche Weise sprichwörtlich den Nagel auf den Kopf – oder besser gesagt: auf die Perücke. Auf gleich vier Perücken sogar, die jeweils in bis zu 60 Stunden in aufwendiger Handarbeit geknüpft wurden. Dieses jahrhundertealte Kreativhandwerk reift hier zu seiner Bestform und wird zum heimlichen Star von Bastian Krafts ohnehin schon fantastisch-cineastisch verwobenem Gesamtkunstwerk der Novelle „Tod in Venedig“. Es ist dem Masken- und Kostümbildnerinnen-Team von Julia Wilms, Jutta Böge, Esther Chahbaznia und Jelena Miletic zu verdanken, dass sich Abend für Abend die Schauspielerinnen neben den zahlreichen Video-Nebenrollen so eindrucksvoll in ein Thomas Mann-Quartett verwandeln können. Wir verneigen uns vor so viel Kunst und dieser Applaus gilt dieses Mal ausschließlich der herausragenden Arbeit hinter den Kulissen.
Sonderpreis für außergewöhnliche Leistungen im Rahmen des Hamburger Theaterlebens
Francoise Hüsges für die Leitung des monsun.theater
Wenn es um Theater geht, lässt Francoise Hüsges sich weder beirren noch ausbremsen. Mit unglaublicher Kreativität und Energie trotzt sie allen Widrigkeiten, die sich im Hinblick auf die barrierefreie Sanierung des monsun.theaters immer wieder neu auftun. Wenn das eigene Haus eine Baustelle ist, spielt sie auf der Baustelle oder findet neue Räume und dazu immer neue überraschende Theaterformen, digital und analog. Sie kooperiert mit Theatern aus Hamburg, Berlin und sogar weltweit, öffnet Theater auch für andere Kulturschaffende und ihr besonderes Anliegen ist das AUSSICHT Festival. Alles immer ganz nah an ihrem Publikum. Sie verblüfft, beeindruckt und begeistert, wenn andere schon längst das Handtuch geworfen hätten. Dies ist „Theaterheldinnentum“ im allerbesten Sinne!